Mit dem am 12. März d. J. in
Altusried im Allgäu verstorbenen Hanns Schuschnig verlor die
Kulturgemeinde der Siebenbürger Sachsen den herausragenden
Theatermann der letzten sechzig Jahre. Als der am 21. Dezember
1927 in Hermannstadt geborene „Hansi“ Schuschnig – nach
Absolvierung der Bukarester Theaterakademie – am 12. August 1956
auf einer improvisierten Bühne im Garten des Hermannstädter
Ursulinen-Klosters, der Herberge des deutschen Mädchenlyzeums,
Brechts „Mutter Courage“ mit einer Handvoll begeisterter
Neulinge und einigen „altgedienten“ Schauspielern aufführte,
hatte er den Grundstein für die Bildung der deutschen Abteilung
des rumänischen Staatstheaters in Hermannstadt gelegt. Wenn im kommunistischen Staat
auch mit ideologischer Vorgabe, war damit eine Tradition
wiederaufgenommen worden, die bei den Deutschen Siebenbürgens
bis ins Mittelalter zurückreichte. Bereits für die Zeit um 1500
sind Dramenaufführungen in Hermannstadt belegt. Honterus’
Schulordnung von 1543 „Constitutio Scholae Coronensis“ sah
regelmäßige Schüleraufführungen von Schaustücken vor. Über die
Jahrhunderte hinweg kam es bis zur Gründung des „Deutschen
Landestheaters in Rumänien“ 1933 fast ohne Unterbrechung zu
Aufführungen in- und ausländischer Truppen, darunter immer
wieder bester italienischer Herkunft.
Der in allen Fragen der europäischen Bühnen- und Schauspielkunst
belesene Theaterregisseur und Theaterkenner Hanns Schuschnig
verstand sich in dieser Tradition. Er wusste über die
Wiederentdeckung des antiken Theaters im Frankreich des 16.
Jahrhunderts ebenso Bescheid wie über die Bühnenwerke der
Shakespeare-Zeitgenossen Marlow und Ben Jonson, über die
klassizistischen Tragödien im 18. Jahrhundert des Italieners
Alfieri ebenso wie über das Werk der Deutschen Büchner, Grabbe
oder Hebbel.
Was im Gespräch zu diesen und ähnlichen Themen aufhorchen ließ
und bestach, war aber – über das theatergeschichtliche Wissen
hinaus – Hanns Schuschnigs praktischer Sinn für die jeweils
erforderliche dramatische Auffassung und die Fähigkeit zur
sofortigen Organisation seiner Inszenierungsabsicht. Gepaart mit
seinem Gespür für Bühnensituation und -wirksamkeit, ergab das
eine Theaterpersönlichkeit von Format. Schuschnigs
Beharrlichkeit und die pädagogische Eloquenz im Erläutern seiner
Vorstellungen bewirkten bei seinen Spielern jenes Maß an
Vertrauen, das sie, ob alt oder jung, zur vorbehaltlosen
Mitarbeit veranlasste: Seine Kompetenz stand nicht zur
Diskussion. Niemals verlor er dabei die menschliche
Bescheidenheit und die professionelle Sachlichkeit; Übersicht
und Ruhe waren seine Markenzeichen.
Hanns Schuschnig war nicht nur der Regisseur, dessen sich seine
ehemaligen Schauspieler von den Bühnen in Hermannstadt und
Temeswar in Verbundenheit und mit beruflicher Anerkennung
erinnern. Er war auch der durch und durch realistischer Taktiker
bei der Auswahl der Stücke im Blick auf das Kulturdiktat im
autoritären Staat – Fehlgriffe hätten den Bühnen die Existenz
kosten können. Wer sich die Spielpläne der rund zweieinhalb
Jahrzehnte seiner Tätigkeit in Rumänien ansieht, gewinnt ein
Bild von der klugen Mischung, mit der er sowohl die politischen
Kontrolleure als auch das Publikum befriedigte. Neben der
künstlerischen Qualität seiner Inszenierungen verschaffte er
nicht zuletzt dank dieses Riechers für das Angemessene den
beiden deutschen Bühnen Ansehen in dem trotz des Diktats
hochkultivierten Theaterleben Rumäniens.
Meisterhaftes Können bewies Hanns Schuschnig nicht allein bei
der Arbeit am Hermannstädter und am Temeswarer Deutschen
Staatstheater, sondern auch nachdem er sich rund ein Jahrzehnt
vor der politischen Wende in Osteuropa im Ausland absetzte: in
der Bundesrepublik Deutschland. Münster und Bremerhaven waren
hier die ersten Stationen, ehe er 1981 in Altusried auf halbem
Weg zwischen Memmingen und Kempten im Allgäu Fuß fasste; Bayerns
Ministerpräsident Franz Josef Strauß sorgte für die Emigration
auch der Ehefrau Beatrice, geb. Gutt, und der beiden Söhne. In
Altusried übernahm Schuschnig die Leitung der traditionellen
Freilichtspiele. Er machte sie zwischen den Jahren 1982 und 1999
mit insgesamt sieben Großinszenierungen weit über das Allgäu
hinaus bekannt, ja berühmt. Gut über 400 Laienschauspieler
wirkten gelegentlich bei den Aufsehen erregenden Aufführungen
historischer Stücke wie Götz von Berlichingen, Andreas Hofer o.
a. mit. Vor einer imposanten Felsenkulisse nahe Altusried setzte
Schuschnig Volksmassen in Bewegung, ließ Reitertrupps über das
Freilichtgelände galoppieren, Kriegerscharen aufmarschieren und
Schlachten schlagen, streitbare oder weise Dialoge führen,
Intrigen und Liebesszenen lebendig werden. Man muss als
Zuschauer dabei gewesen sein, um sich von den begeisternden
Spektakula und den Beifallsstürmen auf der mächtigen Tribüne ein
Bild zu machen. Es gelang Schuschnig immer wieder zu
verwirklichen, was „großes Theater“ genannt wird. Publikum und
Darsteller feierten den Regisseur nicht nur, sie rühmten ihn
auch als einen jener Theatermänner, denen nicht allein die
mitreißende Geste des Spiels am Herzen liegt, sondern auch die
Nichtigkeit hinter der Bühne in der Betreuung des kleinen
Statisten.
Dieser Mann war wie kaum wieder ein Siebenbürger theaterhungrig,
ja, -gierig. Hatte er auf den Bühnen in Rumänien von „Mutter
Courage“ und Lessings „Nathan“ bis hin zu Shaws „Pygmalion“ oder
Caragiales „Ein verlorener Brief“ etc. ungefähr 200 Bühnenstücke
inszeniert, darunter neben deutschen und rumänischen Autoren
französische, englische, US-amerikanische, russische und
italienische, so spielte die von ihm geführte Altusrieder
Laientruppe z.B. während eines einzigen Sommers vor über 100.000
Zuschauern. Neben der Arbeit an den Freilichtspielen gründete er
1985 die Kleinbühne „Altusrieder Kästle“, die jährlich mit bis
zu sieben Neuinszenierungen in ungezählten Aufführungen vor das
Publikum trat. Er inszenierte überdies Stücke für den „Allgäuer
Geschichts- und Heimatverein“ und war mit Aufführungen in
Freiburg, München und anderen Orten präsent, er half seiner Frau
Beatrice bei der Gründung und Leitung der „Insel-Bühne“, zu
deren Mini-Ensemble auch die Söhne Tristan Troy und Johannes
Marc gehörten; sie unternahm Tourneen zu kleinen deutschen
Volksgruppen in Polen, Ungarn, Rumänien, im Sommer 1997 sogar
nach Namibia an der Südwestküste Afrikas. Was er unter dem Titel
„Mit der Insel-Bühne auf großer Fahrt“ (darüber berichtete die
Siebenbürgische Zeitung vom 15. September 1997),
veranschaulicht neben dem leidenschaftlichen Theatermacher und
Schausteller Hanns Schuschnig zu gleichen Teilen den Menschen,
dessen Herz für die nicht selten unter harten Bedingungen in der
Diaspora lebenden deutschen Landsleute schlug – so im
oberschlesischen Gleiwitz, im transdanubischen Fünfkirchen, im
siebenbürgischen Hermannstadt oder in Tsumeb im namibischen
Otavi-Bergland. „Überall“, hielt er fest, „waren der Hunger nach
deutscher Kunst und die Freude über unsere Anwesenheit offenbar.
Immer wieder war die Klage zu hören, dass sich hierher so selten
eine deutsche Kulturgruppe verirrt ...“
Das Gedenken an diesen außergewöhnlichen Menschen erlaubt mir
das Verschweigen eines besonderen Momentes in seinem und meinem
Leben nicht: Im September 1959 gehörte „'Hansi“ Schuschnig zu
den Zeugen der Anklage, die in einem politischen Prozess vor
Gericht unter anderem gegen mich auszusagen aufgefordert waren.
Von den rund zehn Zeugen war er derjenige, der den Mut hatte,
entgegen den Erwartungen des Kriegsgerichts und der Securitate
eine belastende Aussage ohne Umschweife zu verweigern. Er tat es
ohne Pathos und Zögern in professionell sachlichem Ton. Ich saß
in der Angeklagten-Box und hörte ihm mit angehaltenem Atem zu.
Jahre später sprach ich ihn darauf mit der Frage an: „Hattest du
keine Angst?“ Seine Antwort hielt ich 1995 in einem
Zeitungsinterview fest; er erwiderte: „Warum hätte ich Angst
haben sollen? Die Angst vor ihnen war ein Missverständnis.“ Ich
fügte in dem Interview hinzu: „Ein Mann von solcher Luzidität
des Geistes muss ein guter Regisseur sein.“ (In: „,... dass ich
in der Welt zu Hause bin‘. Hans Bergels Werk in
sekundärliterarischem Querschnitt.“ Bukarest 2009, Seite 260)
So verdient der Theaterregisseur und der Mensch Hanns Schuschig
aus mehrfachem Grund unser ehrendes Gedenken. Er starb als
86-Jähriger am Ort seines Wirkens. Dessen Erinnerung wird ihn
lange überleben.
Nachruf erschienen in "Siebenbürgische
Zeitung" online
vom 26. März 2014