Nicht als Lyriker, sondern als Bühnenschriftsteller, Schauspieler und Rezitator hat sich Stefan Heinz-Kehrer im literarischen und kulturellen Leben der Banater Schwaben nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer identitätsstiftenden Instanz seiner Landsleute entwickelt. Seine kleinen Gedichtbände „Und es wird Friede sein“ (Bukarest, 1953) sowie „Und wir marschierten! Tagebuch von der Ostfront“ (Bukarest, 1956) sind denn auch in Vergessenheit geraten. Nun legt der inzwischen neunzigjährige, für seine großen Verdienste vielfach auch ausgezeichnete Autor „ausgewählte Gedichte“ unter dem Titel „Stationen eines Lebens“ vor, mit dem er sein Lebenswerk nicht nur abrundet, sondern ganz persönliche Bekenntnisse und sein Vermächtnis als Banater Schwabe in lyrischen Texten niederlegt. Es ist innerhalb von wenigen Jahren das dritte Erinnerungsbuch von Stefan Heinz-Kehrer. In der Erzählung „Lehrerwahl in Traunhofen“ (1998) scheint hinter der vordergründigen Geschichte eines Junglehrers das Leben und Weben einer banatschwäbischen Dorfgemeinschaft Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts auf.
Seinem eigentlichen selbstbiographischen Buch „Im Zangengriff der Zeiten“ (2001) gab er den treffenden Untertitel „Ein langes Leben in kurzen Geschichten“, eine Mischung aus Tatsachenberichten und Kurzerzählungen.
Man fragt sich, warum noch Lebenserinnerungen in poetischem Kleid? Zunächst: Der von Eduard Schneider lektorierte Band ist in neun Abschnitte gegliedert, deren Überschriften Lebensstationen und Lebenszeiträume bezeichnen aber auch eine thematische Strukturierung suggerieren: Frühe Jahre, Krieg, Alte Heimat, In Deutschland und anderswo, Wenn sich die Jahre neigen, u.a. Die Gedichte sind meist datiert, aber nicht konsequent chronologisch, sondern eher thematisch angeordnet, wobei Überschneidungen nicht zu vermeiden waren. Stefan Heinz-Kehrer hat für diesen Band Gedichte aus sechseinhalb Jahrzehnten ausgewählt, die man in einem leicht abgewandelten großen Dichterwort als Bruchstücke einer Konfession lesen kann. Wir begegnen darin einer Vielfalt von Themen und Formen. Versammelt sind vor allem Stimmungs- und Erlebnisgedichte mit meditativ- lebensphilosophischem Gehalt in tradierten Versformen, ebenso balladenhafte Gedichte in strengem Reim und Rhythmus gehalten, neben volksliedhaft einfachen Versen mit besonderer sprachlicher Prägnanz. Hinzu kommen eingestreute Mundarttexte, die in freien Rhythmen Banater Lebensweise und den Kreislaus ihrer Geschichte einprägsam und einfühlsam verdeutlichen („Mei Vatterschhaus“, „Was is geblieb?“, „Mir Schwowe“).
Vergleichbar mit impressionistischen Stimmungsbildern seiner etwas älteren Generationsgefährten Hans Diplich und Rudolf Hollinger, die in odenhaften Dichtungen die Schönheit der Heimat Banat besungen haben, ist Stefan Heinz-Kehrers „Pannonische Elegie“. Darin wird allerdings schon der herbe Verlust der Heimat beklagt und die Hoffnung auf den Neubeginn der Enkel nach der Heimkehr „zum Bruder“ (nach Deutschland) zaghaft angedeutet. Die melancholische wehmutsvolle Erinnerung setzt nicht nur in diesem Gedicht den stärkeren Akzent:
Tiefblau pannonischer Himmel,
samtschwarz die warme Nacht,
am Himmel funkeln Gestirne,
kreisen in ewiger Pracht.
Kalt ist das Wasser im Brunnen,
kühl liegt im Keller der Wein,
betörend duften Akazien
zu Pfingsten im Mondenschein.
Im Stalle schnauben die Rosse,
am Dorfrand bellt noch ein Hund,
am Hoftor steht noch ein Pärchen
umschlungen und Mund an Mund.
Der Morgen erleuchtet die Giebel,
des Hauses stolzes Gesicht.
Der Eimer stößt in den Brunnen,
der blanke Spiegel zerbricht…
Noch nisten auf Dächern die Störche,
die Reise war lang und schwer.
Sie brüten und füttern die Jungen,
die Wiegen der Menschen sind leer.
Wir haben die Heimat gefunden,
die Zukunft der Enkel beginnt.
Doch gibt es noch manche Träne,
die um das Verlorene rinnt.
Gewiss sind Kriegserlebnisse, Familienereignisse, Schicksalsschläge und auch Reiseeindrücke mehrfach Anlass zu Gedichten. Die Erfahrungen des Alters, des Abschieds, der Vergänglichkeit und des Todesgedankens inspirieren einen großen Teil der Verse. Vom „Wiegenlied“- einem der schönsten Gedichte des Bändchens über „Das eherne Gesetz“ bis hin zum abschließenden Gedicht „Zeit“ spannt sich der Bogen Iyrischer Bekenntnisse von Stefan Heinz-Kehrer. Die Lebenseinsichten und Stimmungen einer Vielzahl von Gedichten sind von einem ausgeprägten Geschichtsbewusstsein des Dichters bestimmt und von einer christlich-ethischen Grundhaltung. So ist persönliches Schicksal („Die Bilder des Schmerzes“, „Mein Weg“) eng verknüpft mit dem historischen Weg der banatschwäbischen Gemeinschaft („Hainburg 1764“, „Pannonische Elegie“, „Alter Friedhof“) und die Klage um den unwiederbringlichen Verlust: „Mit wenich sin mer kumm,/ selmols, mit nix gehn mer fort,/ mit Träne in de Aue/ un e bisje Hoffnung im Herz.“ (Was is geblieb?“)
Verwurzelt in der Tradition heimatlicher Dichtung, geprägt vom klassisch-romantischen Literaturverständnis aber auch weltoffen durch Bildung und künstlerischen Beruf hat Stefan Heinz-Kehrer der banatdeutschen Dichtung ein lyrisches Zeugnis seines Lebenwegs hinzugefügt, das zum literarischen Geschichtsbild der Banater Schwaben gehören wird.
Stefan Heinz-Kehrer: „Stationen eines Lebens. Ausgewählte
Gedichte“, 91 Seiten, 10 Euro.
Bestellungen: Landsmannschaft der Banater Schwaben.Siehe:
http://www.banater-schwaben.de/buch.htm
Walter Engel